14.-23. Juni 2013 / Mongolei I -

Tsagaannuur-Oelgi-Khyargas Nuur-Nömrög-Tosontsengel- Solongotyn Davaa-Tariat-Tsetserleg-Karakorum-Ulaan Bataar

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Von Kosh Agash am Morgen des 14. Juni 2013 gestartet, ziehen sich unerwarteterweise die Ausreise-Formalitäten aus Russland über sage und schreibe drei Stunden lang dahin. Wen wundert's: Bis wir endlich am letzten russischen Gate den Kontrollzettel losgeworden sind, beim Anblick der löchrigen Naturstrasse ennet dieses Tors ein paar Mal leer geschluckt und den Streifen Niemandsland durchfahren haben, herrscht in der Mongolei heilige Mittagsruhe. Geduldig warten wir fast eine weitere Stunde lang, um dann umso schneller in nur knapp 60 Minuten die Kontrollen der mongolischen Grenze zu passieren. Wir befinden uns auf über 2'200m Meereshöhe und haben noch 9°C. Wir glauben unsern Augen nicht zu trauen, als sogar ein paar vereinzelte Schneeflocken auf unserer Frontscheibe schmelzen.
Unmittelbar nach den Grenzgebäuden werden wir bei einer kleinen Hütte linkerhand zum Abschluss einer Haftpflicht-Versicherung aufgefordert (1 Monat – RUB 1400.00). Zwei Geldwechsler schleichen da ebenfalls herum, deren Kurse mich allerdings aufstöhnen lassen. Da wir genügend Diesel für die ersten Etappen mitführen, aber nicht wissen, wo wir auf die nächste geöffnete Bank stossen werden, wechseln wir unter Feilschen nur für Notfälle je 100.- USD und 100.- EUR (zu mickrigen MNT1350.- resp. 1650.-).
Aus dem Blickfeld der Grenzer legen wir erst einmal eine kurze Ruhepause ein, bevor wir die Wellblech-Strasse nach Tsagaannuur unter die Räder nehmen. Dieser erste mongolische Ort besteht aus einigen Häusern, dem in mongolischen Siedlungen wichtigen Wasserhaus, aus dem sich das ganze Dorf versorgt, einer kleinen Moschee, kleinsten Läden aber auch einer Bankfiliale. Wir durchqueren ihn und finden wegen der veränderten Bebauung nur mit etwas Mühe die Route M16, welche uns an den Uüreg Nuu führen soll. Die Landschaft entzückt uns mit ihren kargen, verschieden-farbigen Hügel und den grünen Wiesen entlang des kleinen Flusses, durch dessen Tal wir fahren. Jurten stehen in kleinen Gruppen und ihr Vieh, Schaf- und Ziegen- oder aber Yak-Herden werden jetzt gegen Abend vom Weiden zurück getrieben. Gegenüber dem alten Regime sind heutzutage die Herdengrössen nicht mehr nach Clan-Grösse oder entsprechend der örtlichen Gegebenheiten limitiert. Erhebungen haben ergeben, dass in der Mongolei an die 47 Mio. Tiere gehalten werden, die mit ihren Häuten, der Wolle, aber nur teilweise der Milch und des Fleisch, die Lebensgrundlage der Mongolen-Familien finanzieren - dies obwohl die Weiden nur etwa 25-30 Mio. wirklich optimal ernähren können. Bei guten Weidegründen sollen sich in der Sommersaison die Nomaden mit Sack und Pack etwa viermal jeweils in der Regel um etwa 20km verschieben. Die weniger Glücklichen, z.B. in der Gobi-Region, müssen, um genug Futter für ihr Vieh zu finden, gar an die 20x zusammenpacken und zügeln.
Wir stehen mitten im Grünen, sind aber von der Strasse her gut sichtbar. Drei- oder viermal halten die mit Motorrädern oder Autos vorbeifahrenden Einheimischen, die uns freundlichst begrüssen und willkommen heissen. Bei einer dieser Begegnungen erfahren wir von Clara und ihrem Mann, die etwas Englisch sprechen, dass der vor uns liegende Fluss wegen der vielen Regenfälle der vergangenen Tage Hochwasser führt und nicht überquert werden kann. Unsere ganze schöne und ausgefeilte Reiseroute ist schon am ersten Tage im Eimer und wir werden uns eine Alternative ausdenken müssen.

Am nächsten Tag krebsen wir die Etappe von gestern zurück – nicht ohne unterwegs noch einen mit dem Material einer Jurte  beladenen und in einem Graben festsitzenden russischen Lastwagen zu entpannen. Als ich mit meinem Fotoapparat auftauche, stellen sich die Familie sofort freudig für eine Gruppenaufnahme stramm auf. Wir weihen unsern Fotodrucker ein und erfreuen die Beteiligten mit einem – denkste, nein fünffachem Ausdruck. In Tsagaannuur kommen wir nicht ungesehen am Haus von Clara und Nurshuah vorbei. Sie warten schon auf uns und haben alles vorbreitet zum Chai-Trinken. Grosse Tassen, aus denen bei uns der Alpöehi sonst seine Kaffeemocken isst, werden gastfreundlich gefüllt. Geleert sind sie dann weniger rasch, denn der Tee ist leicht salzig und mit Yakbutter "verfeinert", welche ihm den speziellen Geschmack verleiht, der uns Westerner rasch widersteht.
60km lang rattern wir danach über die Hauptverbindung, eine Piste neben einer sich im Bau befindenden neuen Strasse bis wir endlich von Teerstrasse erlöst werden. Elgi/Oelgi hat über 25'000 Einwohner, mehrheitlich wie überall hier im Aimag-Bezirk kazachischer Herkunft. Attraktiv ist der  Ort beileibe nicht. Er wird notgedrungen zum Proviant auffüllen, Tanken, Geldwechseln oder gegebenenfalls zum sich Registrieren bei der Immigration zwecks Visums-Verlängerung von den Reisenden angelaufen. Wir stellen am Hauptplatz das Auto ab und schlendern durch die beiden Hauptstrassen und den chaotischen Markt. Anschliessen können wir uns beim Wolf Tour-Operator in sein offenes Wifi einloggen und unsere Mails erledigen. Zum Nachtessen dislozieren wir zur Feier des Tages (unser 40. Hochzeitstag) ins Tsambagarav Hotel. Mindy und Laurel, zwei jungen Amerikanerinnen, die am Ende ihres 3-jährigen Einsatzes für das American Peace Corps stehen, helfen uns bei der Auswahl eines schmackhaften Gerichts mit Pferdefleisch-Streifen und Gemüse. Inzwischen hat sich das zuvor geschlossene Traveller's Guest House belebt. Die Betreiberfamilie ist von ihrem Ausflug zurückgekehrt und Nasca gewährt uns Einlass für MNT5000.- für eine Nacht – Wifi inbegriffen!

Am Sonntag-Morgen bleiben die bunten Blechdächer von  Elgi/Oelgi hinter uns zurück. Die Schotter-Piste folgt dem Kovd Gol in östlicher Richtung und beschert uns über 60km eine holprige Fahrt. Erst im Flusstal und anschliessend im flacheren Gelände, wo man die Qual der Wahl verschiedener, inzwischen eher weicher gewordenen Fahrspuren hat, geniessen wir die Landschaften, die sich abwechslungsreich vor uns auftun. Wo Wasser und damit Weidefläche verfügbar ist, stehen vereinzelte oder kleine Gruppen von Jurten. Wir schaffen es bis zum späten Mittagshalt gerade mal an den Achit Nuur. Da uns der Sinn nicht danach steht, mit den unweigerlich zu Besuch anrückenden Bewohner der Jurten am Seeufer die immer gleichen, kurzen Unterhaltungen und Antworten zu äussern, dass wir leider Nicht-Raucher und -Trinker sind und demnach weder Zigaretten noch Wodka offerieren können, ziehen wir eine Pause am bereits wieder in die Hügel ansteigenden Wegstück vor. Zusätzlich kommen wir so in Genuss eines leichten Windes, der uns zudem die vielen schwirrenden und sirrenden Flugobjekte vom Hals hält.
Wir passieren die kleine Gemeinde Hovd, von der man bei der Vorbeifahrt wenig sieht, da alle Häuser oder Jurten von hohen Holzzäunen eingeschlossen sind. Nach der problemlosen Passage der Furten eines Seitenarms des Kovd Gol versperrt uns ein Lastwagen die hier von vielen grossen, runden Fluss-Steinen gespickten und daher nur einspurige Piste. Der Fahrer schläft im Schatten des Fahrzeuges, ist aber rasch auf den Beinen als er Motorengeräusch hört. Einen Liter Diesel bräuchte er, den er in den leergelaufenen Vergaser giessen und somit sein Vehikel wieder starten kann. Das zieht bei unserem Dieseltank-System eine kleine einstündige Operation nach sich bis endlich etwas Saft im Reservekanister ist. Einen Schlauch kann man wegen der Windungen nicht bis in den Tank vorschieben, also muss eine mitgeführte kleine Ansaugpumpe aus dem Material ausgegraben und in Gang gebracht werden.
Wegen dieser Unterbrechung schlagen wir unser Lager um 18.30h dann für heute schon am wunderschön gelegenen Shatsagay Nuur auf. Wir sind auf der Kuppe von der Strasse und auch von den Jurten am gegenüberliegen Seeufer sichtbar, erhalten aber glücklicherweise nur zweimal kurzen menschlichen Besuch, ziehen dafür das ungeteilte Interesse aller herumzuckenden Mücken auf uns.

17.6.: Wir geniessen die morgendliche Etappe durch noch bewachsenes Terrain. Fredy fühlt sich auf den Naturpisten in seinem Element, während ich froh bin, dass ich nicht ans Steuer muss, vor allem bei den Durchquerungen der Wasserläufe vor Oemnögev. Zwar ist eine Holzbrücke, mehr malerisch als vertrauenserweckend, vorhanden, die aber aus naheligenden Gründen niemand zu benützen scheint. Wir fahren durch ein paar Strassen dieses verschlafen wirkenden Orts, deren Einwohner uns freundlich zuwinken und auch absolut keine Berührungsängste haben. Nur zu gerne steigen mal wieder ein paar in den Camper und bestaunen unser luxeriösen "dom" (Haus). Wir verwerfen unsere Idee, direkt am Oelgi Nuur über Mittag zu halten. Schneller als wir ans Seeufer gefunden haben, stürzen sich denn Massen von zuckenden Mücken uf unser weisses Auto. Fast 30km später unterbrechen wir die Fahrt, diesmal um in Oelgi das örtliche Wasserhaus zu suchen. Die Antworten auf unsere Fragen nach "cy" können wir nicht richtig interpretieren. Wir Deppen halten von einem WC-Häuschen, da an der Durchgangsroute steht. Ein Helfer steigt zu uns ins Auto und bringt uns zur richtigen Stelle, wo aus dem Schlauch mit beträchtlichem Druck mehr kühles Wasser fliesst, als unser Tankstutzen zu schlucken vermag. Unsere Sandwiches verzehren wir schliesslich mit herrlichem Blick auf den vor uns liegenden Izkh Nuuruudyn inmitten der vielen gelb blühenden Büsche und fast eingelullt von deren starken Blütenduft.

Ich weiss nicht, ob ich die anschliessende Gegend als trockene Steppe oder bewachsene Wüste klassieren soll. Wie immer ist gerade die Piste, die wir gewählt haben, die schlechteste, nur um nach dem Wechsel auf eine der vielen anderen Spuren festzustellen, dass bessere Verhältnisse, die einen Schnitt von mehr als 30km/h erlauben, reine Utopie sind und nur unserem Wunschdenken entspringen. Am späten Nachmittag dann erblicken wir den herrlich blauen 31km breiten und 71km langen Khyargas Nuur. Eigentlich liegt er im gleichnamigen Nationalpark, aber in dieser verlassenen Gegend (eine neue Strasse am Nordufer ist zwar im Bau) taucht niemand auf, um den Eintritt zu kassieren. Heisse Quellen sollen gemäss Know-How Karte am nordwestlichen Ufer liegen. Wie  sie denn aber zu finden wären, wird in keinem unserer schlauen Bücher vermittelt. Einzig eine kalte Quelle wird mit Koordinaten erwähnt, also können wir gerade so gut im See baden. Leicht salzig soll sein Wasser sein – uns kommt es fast seifig vor. Wir befinden uns nur noch auf 1'030m ü.M, aber die Temperaturen sind auch am Abend mild. Und fast hätte ich das grösste Plus dieses Sees nicht gewürdigt: keine einzige Mücke weit und breit.
Für die ersten 60km benützen wir am nächsten Morgen das noch unfertige, aber schon planierte Trassee der sich im Bau befindenden Strasse. Natürlich hofften wir, vergebens wie sich herausstellt, dieses Glück halte weit östlich bis zur A0604 an. Aber auf dem anschliessenden Stück müssen wir für den vorherigen Komfort büssen. Die Piste ist hart und steinig und oft von LKWs ausgefahren. Wir hatten mit dem Gedanken gespielt, in diesem Fall nördlich zu drehen, um früher auf die hoffentliche bessere Fernverbindungsstrasse zu stossen. Allerdings scheuen wir das Risiko, dass die Querverbindung noch schlechter sein könnte als was wir momentan unter den Rädern haben. Die Tatsache, dass wir die Abzweigungen trotz Karten-Ausmessen gar nicht wahrnehmen, beendet diese Ueberlegungen.
Nachdem der Khyargas Nuur hinter uns zurückbleibt, rollen wir durch langweilig ödes Gebiet. Nur gerade an unserem Mittagsplatz erheben sich einige spezielle Felsformationen. Westlich von Songrino wird es endlich wieder grüner und dank der bescheidenen Weideflächen tauchen auch wieder die ersten Jurten auf. Der südliche Hügelzug ist sogar baumbestanden. Wellblech wird seltener und die Piste selbst weicher. Trotzdem schlägt die letzte Stunde des Pneus hinten rechts, dem Jemand uns noch in Rubotsovsk/RUS mit einem Messerschnitt beschädigt hatte. Kurz vor Feierabend muss Fredy ins Ueberkleid steigen und Rad wechseln. Wegen des damit verbundenen Zeitverlusts schaffen wir es nicht bis zur A0604, sondern stehen zwischen Songrino und Tüdevtel abseits der Strasse in sicheren Abständen der umliegenden Jurten. So dachten wir es jedenfalls, aber wir hatten noch nicht uns fertig installiert, als schon ein Reiter uns seine Referenz erwies. Mit ein paar Schweizer Schokistengeli und einer Foto von ihm und seinem Gaul verabschiedete er sich aber bald wieder. Eigentlich stehen wir im Gelände mit unzähligen Ein- oder Ausgängen von unterirdischen Gängen von Murmeltieren. Einige der recht fetten Gesellen waren am "sünnele", verschwanden bei unserem Auftauchen aber auf Nimmerwiedersehen in ihren Baus und zeigen sich leider nicht mehr.

Fredy steigt zum Tagesbeginn des Mittwochs auf sein Bike, und ich hole ihn dann mit dem Camper wieder ein. Dies ist nicht so schnell der Fall, wie man meinen möchte. Wir haben eine mühsame erdige Piste mit vielen Vertiefungen, die den Camper ständig ins Wippen bringen. Tüdevtel kündigt sich, wie all diese kleinen Orte, mit seinen bunten Blechdächern an und glänzt mit einer neuen modernen Tankstelle, aber danach keine besseren Strassenverhältnisse – auch nicht als wir fast unbemerkt auf die A603 einmünden. Nömrög fällt uns durch seine Sauberkeit, die gut imstand gehaltenen Zäune sowie die buddhistische Tempelanlage oberhalb des Ortes auf. Ein freundlicher Einheimischer beobachtet mich, wie ich einige der kleinen Läden betrete und ohne Brot herauskomme. Er fährt uns mit seinem Auto voraus und erkundigt sich immer wieder, bis wir schliesslich in einem der Läden die Bäckerin antreffen, die gerade ihre frisch gebackenen Produkte anliefert.
Ab Nömrög befinden wir uns auf einer überregionalen Verbindung, von der Fredy ganz euphorisch angenommen hatte, dass sie eine flottere Fahrt erlaube. Aber der einzige Unterschied ist, dass die  Hauptpiste so breit ist, dass man auf und nicht neben ihr kreuzen kann. An der Qualität hat sich rein gar nichts geändert, im Gegenteil – hier möchte ich nicht in der nassen Saison unterwegs sein. Am mit 194km2 grössten, abflusslosen Salzsee des Landes, Telmen Nuur, erwarten uns wieder unsere schwirrenden Freunde, so dass wir in einiger Distanz zum feuchten Ufer und in den Wind gestellt unsern Mittagshalt einlegen. In Tosontsengel tanken wir das erste Mal in der Mongolei Diesel zu MNT 1930.-/ CHF 1.30 pro Liter. Endlich müssen wir nicht wie in Kazachstan und Russland immer zum Voraus die Literzahl angeben und Kohle herausrücken, sondern können wie bei uns einfach den Tank auffüllen und anschliessend bezahlen. Ausserhalb des Dorfes dann richten wir uns in gebührendem Abstand von den vielen Jurten am Ider Gol für die Nacht ein und heizen den Grill ein.
Psychologisch gesehen reisen wir in der Mongolei in die richtige Richtung von Westen nach Osten - die Strassenverhältnisse können nur besser werden, denn wir nähern uns, wenn auch im Schneckentempo, den touristischeren Regionen und Ulaan Bataar. Aber bis zur Stunde wartenwarten wir noch immer vergebens auf einen derartigen Lichtblick. Heute haben wir den Vogel abgeschossen. Erstens hatten wir den ganzen Tag bedeckten Himmel, öfter fast trübes Wetter und einige Regenschauer. Zweitens brachten wir es in 7 Std. Fahrt auf gerade mal 176 zurückgelegte Kilometer, was der tiefsten durchschnittlichen Geschwindigkeit unserer bisherigen Reise, nämlich 25.5 km/h, entspricht!
Am Morgen folgen wir dem Lauf der Ider. Hier grasen die Yaks und stehen die Jurten neben windzerzausten, oftmals verkrüppelten Lärchen. Laut unserem Dumont-Reiseführer sollten wir das anschliessende Teilstück auf gut ausgebauter Strasse hinter uns bringen können. Aber das war vermutlich bei den 2010 oder 2011 geführten Ermittlungen der Fall. Inzwischen schreiben wir ja bekanntlich das Jahr 2013, und während man bei uns in Europa annehmen kann, dass in der Zwischenzeit die Verhältnisse sich noch weiter verbessert haben, muss man in Ländern wie der Mongolei umdenken und damit rechnen, dass mangels Unterhalt schon alles wieder dahin ist. Unmittelbar nach Ikh-Uul lockt zwar ein neueres, breites Strassentrassee. Aber die Ernüchterung folgt schon 2km später: abwechslungsweise entweder festgefahrene, erdige Strasse übersät mit Hunderten von "pot holes" so nahe aufeinanderfolgend, dass es überhaupt kein Ausweichen gibt, oder aber die Fahrfläche mit grobem, scharf gebrochenen Schotter, Wellblech plus Löchern bestückt. Fredy's Laune ist auf dem Tiefpunkt, umso mehr als die vor der Einreise geschweisste Halterung für den Silentblock vorne links erneut gebrochen ist. Auf dem 2'600m hohen Solongotyn Davaa (Regenbogen-Pass) stoppen alle Mongolen. Mitten in einem Steinhaufen prangt ein baumartiges Gerüst voller blauer Gebetsfahnen. Ein Besuch dieser religiösen Stätte ohne eine kleine Gabe zu hinterlassen bringt nach ihrer Ueberzeugung Unglück. Also wirft der uns nachfolgende Chauffeur Löffel voll Milch in die verschiedenen Himmelsrichtungen, verneigt sich unzählige Male, küsst dabei die vor ihm liegenden Steine und umrundet zum Schluss den Steinhaufen.

In Tsakhir versuchen wir, wie wir es inzwischen gelernt haben, das Wasserhaus anzusteuern, um unsern Wassertank zu aeuffnen. Aber die Leute scheinen so was von begriffstutzig zu sein, als wir nach "yc" fragen und auch, als alles nichts fruchtet, die entsprechenden Abbildungen von diesem Nass und Wasserhahn im Point-it Dictionnaire nicht zu kapieren. Eine Frau endlich schnallt und versteht unser Anliegen und ruft nach ihrem Sohn. Dieser eilt mit einem Art Fassrolli hinzu, worauf ein voller Bidon montiert ist und anerbietet sich, mit einem Trichter uns Wasser einzufüllen. Nach einer erneuten gestenreichen "Diskussion" steigen dann vier Buben in unsern Camper und dirigieren uns zum Ursprung dieses Wassers: ein flacher Wasserlauf ausserhalb des Dorfs, aus dem die Leute hier das Wasser schöpfen müssen! Pro forma füllt Fredy zwei Spritzkannen voll ein, während ich anderweitig beschäftigt bin. Frauen sind daran, ihre Yaks zu melken und haben nichts dagegen, dabei fotografiert zu werden. Allerdings hätten sie gerne einen Abzug und bitten mich, ihnen einen Zettel zum Notieren ihrer Adresse zu bringen. Als sie stattdessen gerade ein Foto ab unserem Selphy erhalten, können sie sich, wie auch unsere vier Guides mit ihrem Abbild, vor Freude kaum fassen. Dafür zeigen sie mir, wie man sich an ein Yak setzt, die Zitzen ergreift (die erstaunlich fein und klein sind) und Milch in einen Eimer zaubert. Die beiden Versuchsobjekte sind jedoch von mir überhaupt nicht begeistert. Vermutlich habe ich auch nicht die richtige Ausdünstung und sowieso zwei linke Hände, so dass sie mir ständig ausweichen und dabei der Milch-Eimer umzukippen droht, so dass alle einig sind, diese Versuche abzubrechen.
Endlich erreichen wir den Terkhin Tagaan Nuur und steuern entlang seiner Südseite Tariat an. Am Wasserhäuschen füllen wir beim 71-jährigen Wasserwart, der seit seinem Aufenthalt in Dresden 1966 immer noch einige Deutschkenntnisse sich bewahrt hat, unsern Tank auf – Kostenpunkt MNT 240.- für 200 Liter klarstes Trinkwasser. Ueber eine hölzerne Brücke mit erlaubtem Maximalgewicht von 3,5t in bedenklichem Zustand und gegen Entrichtung der Eintritts-Gebühr von MNT 3000.- pro Kopf gelangen wir in den Khorgo-Terkhin Nationalpark. Ziel ist der schwarze, gleichförmige Krater des Khorgo Uul (Vulkan), der bei einer Eruption vor 7700 Jahren entstanden ist. Durch Lavafelder rollen wir in seine Nähe. Die letzten 400m hangwärts steigen wir in Gesellschaft einer Gruppe von Mongolen hinauf. Wie immer freuen sie sich, dass wir ihre Sehenswürdigkeiten besuchen. Ich überlege schon, wie ich am besten zu Fotos der interessanten Gesichter und traditionellen Bekleidung der älteren Generation komme, als sie von sich aus mir deuten, doch von ihnen Aufnahmen zu machen. Wir verabschieden uns nach dem Rundblick über die nordwärts bewaldeten Hang und der Besichtigung des Kraters von 800m Durchmesser und nur etwa 50m Tiefe wieder von ihnen, bevor sie uns zu ihrem Picknick einladen und wir höflicherweise ihren uns widerstehenden Chai trinken müssen. Wir holpern weiter auf der A603. Ein Stück weit verläuft sie parallel zum Chuluut Gol, und man erhält einen herrlichen Blick auf den 200m tiefen Canyon, den sich der Fluss in die Basaltlava gegraben hat.

Ein bekanntes mongolisches Fotomotiv ist der Baum der 100 Zweige. Allerdings hat die sibirische Lärche inzwischen etwas gelitten, ist von einem Blitzschlag vermutlich halb verkohlt worden und hat einige Aeste verloren. Das tut der Verehrung der Einheimischen keinen Abbruch, und weiterhin werden die leuchtend blauen Gewebestreifen an ihr festgeknüpft. Zu Füssen werden die Gaben deponiert oder Geldspenden in die Stoffknöpfe gesteckt. Auch wir bringen einen kleinen Obulus und opfern je eines der letzten, bis jetzt gehorteten feinen Sugus. Und wer hätt's geglaubt – das hat effektiv eine positive Auswirkung und uns widerfährt Gutes. Keine 5km später rollen wir auf seit längerer Zeit erträumter Teerstrasse. Was heisst da rollen, wir fliegen fast darüber hinweg. Kein Wunder, erreichen wir Tsetserleg mit seinen knapp 20'000 Einwohnern noch rechtzeitig um auszugehen: Heute erreiche ich offiziell das AHV-Alter, und nachdem Fredy heute Morgen am Standplatz weit und breit kein Blümchen zum Gratulieren finden konnte, lädt er mich zum Nachtessen im Tsakhiur Restaurant ein. Wie so oft bestellen wir, enden aber mit einem ganz anderen Gericht als ursprünglich vorgeschwebt hat. Eine Erklärung ist, dass die englischen Uebersetzungen des Personals nicht zutreffend sind, oder aber die Bedienung kommt noch zweimal nach Notieren unserer Wünsche wieder an den Tisch, um zu verkünden, dass im ersten Anlauf "horse meat finished", und beim zweiten Male "no chicken" vorrätig ist, worauf wir uns meistens darauf einigen, dass wir essen, was immer sie in der Küche "hinzaubern" kann.
Wir haben hier an einem ideal gelegenen Parkplatz übernachtet: schräg gegenüber der Cactus Bar neben dem Gebäude der Netcom, welche uns vermutlich die offene Verbindung ICT-Wifi-Service geliefert hat – gut genug, dass wir mailen und sogar mit Skype telefonieren konnten. Den Morgen verbrachten wir im Ort. Vom ATM-Automaten der XAAH BaHk wieder mit MNT versehen, können wir auftanken und im Markt ein paar Lebensmittel einkaufen, wo entgegen unseren Erwartungen recht viele, natürlich nicht lokale gezogene sondern angelieferte oder importierte Früchte angeboten werden. Die Fleisch-Abteilung des Basars ist sicher nicht Jedermann's Sache. In den relativ warmen Räumen mit penetranten Blutgeruch sitzen Dutzende von Frauen hinter ihren Bergen von Frischfleisch, Knochen und Innereien, die ohne Sachkenntnisse einfach in gängige Portionen zerteilt worden sind. Ich entdecke und kaufe Lamm-Koteletten, verzichtete aber darauf, dieses Fleischstück mit den jämmerlichen "Hegeln" (Messer wäre übertrieben) in Stücke gehackt zu bekommen, sondern mache das lieber später im Camper selbst.

Ein Muss in Tsetserleg ist der Besuch des Arkhangai Aimag Museum im Zayain Gegeenii Süm Tempel-Kompex mit seinen interessanten und erst noch englisch beschrifteten Exponaten, angefangen von einer Filzjurte und des für dessen Transport gebrauchten, althergebrachten Transportmittels, Alltags-Gegenständen, traditioneller Kleidung und Accessoires bis zu Musik-Instrumenten und Infos zur Entwicklung der Region und über Geschichte dieses buddhistischen Klosters. Vom Hang darüber schaut eine 7m hohe Buddha-Statue vom Galdan Zuu Tempel über die Ortschaft. Wir müssen anschliessend froh sein, zur Stärkung mit Kaffee und feinem Kuchen in die Nähe des Fairfield Cafe fahren zu können, denn es findet eine Wahlveranstaltung statt und die Ordnungskräfte spielen verrückt. Noch weit hinaus bis an die östliche Grenze der Stadt sehen wir bei der Weiterfahrt Polizisten mit Funkgeräten ausgerüstet im inzwischen eingesetzten Regen in der Landschaft stehen und die Umgebung beobachten.
Wir müssen nicht gross überlegen, ob wir die offenen Thermal-Badebecken von Tsenkher Hot Springs aufsuchen sollen. Aus schwarzen Wolken giesst es kübelweise. Aber bis wir Karakorum erreichen, hat sich Petrus wieder beruhigt. Als Kharkhorin wurde diese Niederlassung in der Mitte des 13. Jht. von Chinggis Khaan gegründet. Nach 40 Jahren jedoch wurde die Hauptstadt ins spätere Peking verlegt, und die Stadt wurde nach dem Zusammenbruch des Mongolenreichs verlassen und später von den Manchuren zerstört. Mit den Uberresten wurde im 16. Jht. das Kloster Erdene Zuu Khiid, in dem bis zu 10'000 Mönche lebten, gebaut. Wir besuchen heute davon die Ueberreste, welche die stalinistischen Aufräumaktionen durch mongolische Truppen von 1937 überstanden.
Aus neuerer Zeit, genau gesagt 2004, stammt das grosse Karten-Memorial auf einem südlich gelegenen Hügel. Es ehrt in drei grossen Mosaiken die verschiedenen Kaiserreiche, die am nahen Orkhon Gol einst errichtet wurden (durch die Hunnen 300-200 v.Chr., die Türken 600-800 n.Chr. und die mongolische Periode im 13. Jht.). Unter heftigem Feilschen erstehe ich bei den Souvenirhändlern daneben zwei Souvenirs, bevor wir uns auf einen andern Hügel zum Uebernachten verziehen. Dies allerdings erst, nachdem Fredy seinen Wagenheber einem kleinen Laster schwer geladen mit Kies mit gebrochener Felge zur Entpannung geborgt hat. Nun stehen wir neben einem der vielen Ovoos und vor allem neben einem Zeugen des alten Karakorum: einer der vier steinernen Schildkröte, welche einst die Grenzen des alten Kharkhorin markierten.

Erster Punkt auf der Tagesordnung am folgenden Tag ist die Besichtigung des viel gepriesenen Phallus Rock, bei dessen Anblick wir fast einen Lachanfall bekommen haben. Da liegt nur ein etwa 70cm langer rohrförmiger Stein (bei dem man unserer Ansicht nach noch etwas nachgeholfen hat, damit man ihn auch wirklich als penisförmig empfindet) von Gittern geschützt in der Landschaft. Ohne diesen Anblick hätten wir es sehr wohl machen können.
Das Stück A601 bis zur Einmündung der Südroute legen wir mal wieder neben der offiziellen Strasse zurück. Die Dünen bei Mongol Els fallen bei der Durchfahrt auf der neu A301 weniger durch ihre Höhen auf als durch die vielen herumhängenden Leute, die auf Touristen und die damit verbundene Möglichkeit lauern, einen Kamelritt zu verkaufen. Beim Mittagshalt des einstigen Dünensees haben wir mal eine neue Version von fliegenden Objekten: hungrige Bremsen verjagen uns ins Auto. 1000.- MNT kostet uns die Maut, die wirklich dringend für die Sanierung der eher löchrigen Strasse verwendet werden sollte, für die Weiterfahrt in nordöstlicher Richtung, die uns endlos erscheint. Immer wieder geraten wir in Regengüsse, diese aber nie lang genug, um endlich unsern schweinisch dreckigen Camper reinzuwaschen.

Die Einfahrt in die 1,1 Mio. Stadt Ulan Bator/Ulaan Bataar erfolgt auf doppelter Spur, von denen sich eine jedoch entweder in Neuanfertigung oder bereits wieder Reparatur befindet. An der Strassenzollstelle, die nochmals 500.- MNT kassiert, stauen sich die Vehikel. In der Fortsetzung wälzen wir uns stockend mit dem Sonntagabend-Verkehr auf der Peace Avenue fadengerade durch Hauptstadt, vorbei an zahllosen modernen Geschäften, Hochhäuser und Hotels in den Osten der Stadt. Um 19.ooh des 23. Juni stehen wir am Ziel, dem deutsch-österreichisch geleitete Oasis Guesthouse, und eine halbe Stunde später stehen Teller mit wieder Wiener Schnitzel mit Pommes Frites vor uns auf dem Tisch.
 
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